Im Frühjahr 1958 ist die Marktkapelle Wegscheid von sieben begeisterten und leidenschaftlichen Musikern damals noch als „Möslberger Blaskapelle“ gegründet worden und bereits ein dreiviertel Jahr später hat sie in sehr kleiner Runde zum ersten Mal zwischen Heilig Abend und Neujahr beim Gang von Haus zu Haus die musikalischen Neujahrsgrüße überbracht. Willi Stangl aus Meßnerschlag war einer dieser sieben Gründungsmusiker und er ist heute der der einzige noch lebende dieser Gründungsväter. Und er war auch einer der Vieren neben den Brüdern Hans und Ludwig Donaubauer sowie Hermann Nebauer, die sich damals im Jahr 1958 erstmals als Mitglieder der Möslberger Blaskapelle nach den Weihnachtstagen aufmachten, um musikalisch die Neujahrsgrüße zu überbringen. Und so ganz nebenbei haben sie damals – ohne dass sie es damals auch nur erahnen konnten – auch noch diese Jahrzehnte lange Tradition des Neujahranblasens begründet.
Deren „Einsatzgebiet“ war damals noch ausgehend vom Startpunkt des Möslberger Gasthauses Donaubauer, in dem diese Blaskapelle gegründet worden war, der Bereich um Möslberg und Krennerhäuser, also ein Bereich mit weit verstreuten Häusern. Der Schnee lag damals fast schon meterhoch, das Wetter ungemütlich und eisig kalt, so erinnert sich Willi Stangl noch ganz genau, und so stapften sie mühsam und bald auch tiefdurchfroren von Haus zu Haus. Noten zum Spielen der einzelnen Stücke an den Haustüren hatten sie noch keine, das war aber auch kein Problem. So spielten sie halt die Stücke, die sie bei den Bällen auf den kleinen Wirtshausbühnen auch spielten. Denn diese vier Musiker spielten neben der neuen Blasmusik damals bereits seit längerem auch in einer gut eingespielten Tanzkapelle zusammen.
„Für die Leute“, so erinnert sich Willi Stangl noch gerne, „waren wir damals in diesen tristen Wintertagen eine willkommene Abwechslung und auch eine kleine Sensation, als wir plötzlich vor ihren Haustüren standen und ihnen musikalisch die Neujahrsgrüße überbrachten. Niemand hatte damit gerechnet.“ Und so wurden die Vier dann auch immer wieder in die wärmenden Stuben eingeladen. Dort konnten sie sich dann wieder aufwärmen oder auch stärken. Denn dabei gab es dann so manches Rankerl Speck und dazu wurden einige Knollen Zwiebeln geschält und in Scheiben geschnitten sowie duftendes Bauernbrot beigegeben. Hinuntergespült wurden diese willkommenen Köstlichkeiten mit so mancher Halbe Bier und mit einem abschließenden Stamperl zur scheinbar besseren Verdauung. „Dabei ließen wir uns natürlich immer wieder auch nicht lumpen“, so stellt Willi Stangl klar, „und es gab vor dem Weitermarsch noch die eine oder andere musikalische Zugabe von uns.“
Drei oder vier Tage, genau weiß es Willi Stangl heute nicht mehr, seien sie damals beim ersten Mal beim Neujahranblasen unterwegs gewesen. Überall wurden sie damals freundlich und auch freudig überrascht aufgenommen. Die persönlichen Einnahmen für den Einzelnen waren nicht groß und standen in keinem Verhältnis zu den Strapazen. Etwa fünf bis sechs Mark konnten am Abend eines jeden Tages auf die Einzelnen aufgeteilt werden, „was damals ja noch viel Geld war“, stellte Willi Stangl fest.
Aus dieser ersten Erfahrung wurde in den folgenden Jahren eine sich wiederholende Tradition, die bald auf den Markt Wegscheid übertragen wurde. Denn dort wurde mit der Verlegung des Proberaums der Blaskapelle vom früheren Gasthaus Donaubauer in das Wegscheider Gasthaus Mühlberger aus der ursprünglichen „Blaskapelle Möslberg“ bald still und heimlich auch die „Marktkapelle Wegscheid“. Und so sind die Musikerinnen und Musiker dieser Blaskapelle heuer im 60. Jubiläumsjahr bereits zum 61. Mal unterwegs, um den Wegscheidern die musikalischen Neujahrsgrüße zu überbringen. 61 Mal deshalb, weil diese Tradition in den vergangenen Jahren nicht ein einziges Mal unterbrochen wurde, da konnte das Wetter auch noch so schlecht sein.
Staunen tun die Wegscheider schon lange nicht mehr, wenn ihnen die Musiker vor den Haustüren aufspielen, für viele ist es längst eine traditionelle Erinnerung daran, dass nun das alte Jahr zu Ende geht. Staunen tut in Wegscheid immer wieder nur noch eine Gruppe und das sind die vielen Urlauber, die den Jahreswechsel in Wegscheid verbringen, und die aus ihren Heimatorten diese lieb gewordene Tradition des Neujahranblasens nicht kennen. Und die dann staunend dankbar für die zünftigen Klänge die Wegscheider Musikanten diese immer wieder auch noch ein paar Meter auf ihrem weiten Weg durch die vielen Straßen des gewachsenen Marktes begleiten.
Gewaltig dankbar ist auch Willi Stangl den musikalischen Enkeln der Gründungsväter der Marktkapelle, das betont er ausdrücklich, weil sie diese von ihnen gegründete Tradition über 60 Jahre hinweg aufrecht erhalten haben. Er ist es auch, den die Musikerinnen und Musiker nach vier strapaziösen Tagen immer wieder gerne als eine ihrer letzten Station in Meßnerschlag zu Hause besuchen, um auch ihm als letzten Gründungsvater dieser Wegscheider Tradition des Neujahranblasens musikalisch die besten Wünsche für ein gesundes neues Jahr zu überbringen.